Die Ruhe kommt im Seminar
Wenn die Kraft schwindet, wird der Weg zur Hochschule schwierig. Lydia lässt sich davon nicht unterkriegen. Ihrer Autoimmunkrankheit setzt sie ein Ziel entgegen – ein Lehramtsstudium an der TU Dresden.
Man sieht es ihr nicht an
Die Momente, in denen Mitstudierende Lydias Krankheit ahnen, sind selten. Dass das Immunsystem ab und an verrücktspielt, ist der Studentin kaum anzusehen. Und selbst die Ärzte wissen noch nicht so recht, warum es ihr Körper auf gesunde Muskelfasern abgesehen hat, sie angreift und zerstört. Dermatomyositis nennen Wissenschaftler das. »Eine chronische Autoimmunerkrankung aus der Rheumaecke«, sagt Lydia dazu, »eine, die sich zusätzlich auf die Haut ausbreitet«. Was so greifbar klingt, zwingt die 21-Jährige Lehramtsstudentin in Entzündungsphasen sprichwörtlich in die Knie. Die Krankheit ist ein Auf und Ab. Mal spürt sie kaum Einschränkungen, mal schmerzt jede Bewegung.
Die Krankheit hat sie überrumpelt
Probleme mit den Gelenken hatte sie schon immer, aber bis zum Abitur wurde es immer besser. »Ich dachte, ich wäre geheilt«, erzählt Lydia, entschied sich für ein Studium in den Fächern Kunst und Geografie an der TU Dresden – und wurde im ersten Semester vom Ausbruch ihrer Krankheit überrumpelt. Der Stress könnte ein Auslöser gewesen sein. Genau wissen es selbst die Ärzte nicht. »Ich hatte keine Muskelkraft mehr, schaffte es ohne Hilfe nicht aus dem Bett, geschweige denn die Treppenstufen an der Uni zu bewältigen«, erinnert sie sich.
Das Studium musste pausieren – das war das Übel. Das Wohl war die Reaktion der Dozentinnen und Dozenten. Vielen genügte oft nur ein Gespräch, um eine Lösung zu finden. Viel steiniger waren dagegen die Wege. Und viel zu weit. Zwar gibt es überall Rampen und Aufzüge für Beeinträchtigte, doch Lydia ging die Kraft oft schon auf halbem Weg aus. »Die Gänge bis zu den Fahrstühlen waren für mich damals viel zu lang«, erinnert sie sich. Erst Ende des Winters war die Kraft für einen ganzen Unitag zurück – und für ein Gespräch bei der Beratungsstelle an der Uni.
Nachteilsausgleiche erleichtern das Studieren mit Beeinträchtigung
Die kostenlose Beratung steht allen Studierenden offen, die durch Krankheit oder Behinderung Probleme im Studium bekommen. Für Lydia war sie die erste Möglichkeit zum Aufatmen. Nicht nur, weil sie dort von sogenannten Nachteilsausgleichen erfuhr, sondern auch weil sie Hoffnung bedeuteten, das Semester nicht wiederholen zu müssen. Auf Antrag bekommt sie nun bei schriftlichen Prüfungen zwanzig Prozent mehr Zeit eingeräumt.
Dauerhaft, für das ganze Studium. Zeit, die sie benötigt, um den schmerzenden Gelenken Pausen vom anstrengenden Schreiben zu gönnen. Auch für praktische Prüfungsleistungen darf sie sich mehr Zeit lassen. Von diesen Regelungen bemerken die meisten Mitstudierenden nichts. Höchstens dann, wenn sich nach der schriftlichen Prüfung der Hörsaal leert und die Lehramtsstudentin als einzige sitzenbleibt, um weiter zu schreiben.
Mit Kraft und Zuversicht in die Zukunft
Ist die Organisation des Unialltages geschafft, bleiben die Wege. »Das Zwischendurch, die Wechsel zwischen den Räumen oder Seminargebäuden, sind anstrengend für mich. Die Ruhe kommt im Seminar«. Schlafen die Füße während den Vorlesungen ein, gibt sie vor, auf die Toilette zu müssen und vertritt sich die Beine, bis das Leben in die Glieder zurückkommt. Sie will ihr Studium so normal bewältigen wie alle anderen auch. In guten Phasen reicht die Kraft sogar für einen Nebenjob.
Gymnasiallehrerin für Kunst und Geografie, das ist ihr Ziel. Behindert darin es zu verwirklichen, fühlt sie sich nicht. »Die Krankheit ist ein Teil von mir, aber längst nicht der Teil, der mich ausmacht«. Und die Kraft, die sie ausstrahlt, während sie das sagt, lässt keinen Zweifel daran, dass sie ihr Studium erfolgreich packen wird. Ohne, dass andere ihre Krankheit auch nur ahnen können.
Das Gespräch führte Franziska Lange.