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Gut beraten, guter Abschluss – So klappt das Studium mit Beeinträchtigung

Seit 2017 koordiniert Dr. Daniela Menzel das Themengebiet Inklusion an der TU Chemnitz und berät Schülerinnen, Schüler, Studierende sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hochschule in allen Belangen rund um das Studium mit Beeinträchtigung. Ähnliche Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner gibt es an allen Hochschulen in Sachsen. Die Beraterinnen und Berater wie Dr. Menzel geben Tipps zu Ämtergängen, informieren zu Chancengleichheit und haben noch für beinahe jedes Problem eine Lösung gefunden. Im Gespräch nimmt Dr. Menzel uns in ihren Beratungsalltag mit und erklärt, warum es so wichtig ist, sich schon frühzeitig beraten zu lassen.

Frau Dr. Menzel, ein Studium stellt nicht nur Menschen mit einem Handicap vor Herausforderungen. Wer kommt alles in die Beratung an der TU Chemnitz?

Zielgruppe sind Studieninteressierte und Studierende mit Behinderungen, chronischen oder psychischen Erkrankungen. Es geht also immer um länger andauernde oder dauerhafte Beeinträchtigungen. Studierende mit Behinderungen wie Rollstuhlnutzerinnen und -nutzer oder mit anderen Mobilitätsbeeinträchtigungen sowie Hör- oder Sehbeeinträchtigte suchen die Beratung relativ selbstverständlich auf. Die meisten Beeinträchtigungen oder Erkrankungen sind aber nicht ohne weiteres von außen wahrnehmbar.

Welche Beeinträchtigungen sind das zum Beispiel?

Das sind in der Regel psychische oder bestimmte chronisch-somatischen Erkrankungen. Studierenden, die davon betroffen sind, fällt es deutlich schwerer sich zu öffnen, wobei diese beiden Beeinträchtigungsarten gut drei Viertel aller Studierenden mit einer Beeinträchtigung umfasst. Sie sind oft stärker Stigmatisierung ausgesetzt und haben Angst, ihre Erkrankung in der Beratung offen zu legen. Meist kommen Studierende sehr spät oder gar nicht, weil sie nicht wissen, dass sie gesetzlich verankerte Ansprüche haben und sie besonders unterstützt werden können.

Für einige von ihnen kommen Handicaps überraschend. Gut ein Viertel der Studierenden mit Beeinträchtigung hat erst im Studium damit zu kämpfen. Das ist das Ergebnis einer Studie des Deutschen Studentenwerkes. Erleben Sie das auch in Ihrer Sprechstunde?

Ja, das kann ich bestätigen. Nun habe ich ja nicht mit allen Studierenden Kontakt, die mit einer Beeinträchtigung studieren. Aber der größere Anteil berichtet auf jeden Fall darüber, dass z. B. die Behinderung bereits seit Geburt oder der Kindheit vorliegt, bei manchen waren Unfälle vor dem Studium Auslöser, manche mussten sich aufgrund einer chronischen Erkrankung beruflich umorientieren und nehmen noch ein weiteres Studium auf. Es kommt vor, dass eine chronische Erkrankung wie Multiple Sklerose oder Krebs erst im Studium diagnostiziert werden. Also das ist auf jeden Fall sehr unterschiedlich, aber eine zahlenmäßige Statistik führe ich darüber nicht und kann das also nicht genauer einschätzen.

Macht sich auch die aktuelle Pandemie-Situation in Ihrer Beratung bemerkbar?

Aktuell sind kaum noch direkte Beratungsgespräche möglich, die gesamte Zentrale Studienberatung und ich beraten via Telefon, E-Mail und via Videokonferenzen. Hier trifft man sich dann also statt im Büro im Webroom und hat durch die Webcam auch eine persönliche Gesprächssituation. Dass die Pandemie Studierende konkret gesundheitlich beeinflusst, bemerke ich noch nicht. Meine Vermutung ist eher, dass sich Auswirkungen der Pandemie aufgrund von Einsamkeit und Ängsten etwas später auch in psychischen Erkrankungen äußern. Das heißt, hier gehe ich von einem Anstieg aus, der aktuell aber noch nicht in der Beratung spürbar ist.

Gibt es auch positive Entwicklungen durch die Pandemie?

Manche Studierende profitieren von der neuen zeitlichen Flexibilisierung. Durch das Online-Lernen gibt es weniger Präsenztermine. Wer beispielsweise nicht so gerne mit vielen Mitstudierenden in einem Hörsaal sitzt, der kann sich über die Distanz vielleicht sogar besser konzentrieren und somit ergeben sich für einige vielleicht auch Vorteile.

Vor welchen Herausforderungen stehen betroffene Studierende ganz konkret?

Chronisch kranke oder psychisch kranke Studierende haben viel Ausfallzeiten oder müssen Arzt- oder Therapietermine wahrnehmen. Das bedeutet, sie können einfach nicht in dem normalen Tempo studieren, was sich auf die Studiendauer auswirkt. Insgesamt haben behinderte Studierende, also Rollstuhlnutzer, Seh- oder Hörbehinderte, natürlich Probleme mit nicht barrierefreien Rahmen- und Studienbedingungen. Sie brauchen Unterstützung in Lehrveranstaltungen, besondere Ausstattung wie unterfahrbare Tische, Hörverstärkungsanlagen und ähnliches. Wenn eine Beeinträchtigung vorliegt, ist auch davon auszugehen, dass die Prüfungsdichte und der Leistungsdruck im Studium sich erschwerend auswirken. Alle Studierenden mit einer Beeinträchtigung stoßen sicher auf Vorurteile also Barrieren in den Köpfen – deshalb ist meine Aufgabe, alle Lehrenden und Beratenden der TU Chemnitz zu sensibilisieren und auf den Unterstützungsbedarf dieser Zielgruppe hinzuweisen. Wie gesagt, wir sprechen von ca. 11 Prozent aller Studierenden.

Welche Möglichkeiten gibt es, beeinträchtigten Studierenden ein chancengleiches Studium zu ermöglichen?

Das kann ganz unterschiedlich aussehen. Für zulassungsbeschränkte Studiengänge können Studierende mit einer Beeinträchtigung einen Härtefallantrag stellen. In Phasen, in denen man aufgrund der Erkrankung nicht studierfähig ist, kann das Studium mit einer Beurlaubung aus Krankheitsgründen pausieren. Falls Studierende mit länger andauernden oder dauerhaften Beeinträchtigungen Anpassungsbedarf in Prüfungen haben, also aufgrund der Beeinträchtigung konkrete Nachteile und Erschwernisse in der Prüfung bestehen, die sich nicht auf die zu bewertenden Fähigkeiten und Anforderungen also die Qualifikationsziele beziehen, so können Nachteilsausgleiche beantragt werden.

Wie können solche Nachteilsausgleiche konkret aussehen?

Entscheidend ist immer die individuelle konkrete Beeinträchtigung und der sich daraus ergebene Nachteil. Häufig ist es eine Schreibzeitverlängerung in Klausuren oder eine längere Bearbeitungsdauer für Hausarbeiten. Weiterhin können Hilfsmittel, Pausen für Toilettengänge in Prüfungen oder separate Räume zugelassen werden. Das wird also immer individuell durch den Prüfungsausschuss des Studienganges auf Antrag durch den Studierenden entschieden.

Ab welchem Zeitpunkt können Studierende solche Nachteilsausgleiche wahrnehmen? Ist das schon bei Studienantritt möglich oder erst im Laufe des Studiums, wenn Probleme auftreten?

Mir wäre es das liebste, alle kommen so früh wie möglich in die Beratung, es ist ja alles unverbindlich und vor allem vertraulich. Schon bei der Bewerbung für zulassungsbeschränkte Studiengänge gibt es zwei Sonderanträge: Einmal der Antrag auf Nachteilsausgleich in der Leistungsquote zur Verbesserung der Durchschnittsnote und der Antrag auf Nachteilsausgleich in der Wartezeitquote zur Verbesserung der Wartezeit. Wenn das Studium schon begonnen hat, ist nicht das »Problem« maßgeblich, sondern es muss eine konkrete Teilhabeeinschränkung, eine konkrete Erschwernis oder ein konkreter Nachteil aufgrund einer dauerhaften/länger andauernden Beeinträchtigung vorliegen. Dann besteht gesetzlich ein Anspruch auf Ausgleich dieses Teilhabedefizites, dieses Nachteils, dieser Erschwernis.

Also ist es ratsam, sich am besten schon bei der Studienplatzsuche beraten zu lassen?

Auf jeden Fall! Studierende müssen aus Datenschutzgründen bei der Immatrikulation keinerlei Beeinträchtigung angeben: also weder eine Behinderung, noch eine chronische oder psychische Erkrankung. Das unterliegt dem Persönlichkeitsrecht. Ein möglichst frühzeitiges Beratungsgespräch, gern schon zwischen dem 10. und 12. Schuljahr, zu den Ansprüchen und Unterstützungsbedarfen bzw. -möglichkeiten wäre immer empfehlenswert. Ich bin aber immer angewiesen darauf, dass Studierende mich aufsuchen, sich öffnen, weil ich ja nie einen Gesamtüberblick habe. Gerade Studierende mit psychischen Erkrankungen haben Stigmatisierungserfahrungen oder wollen darüber nicht offen sprechen, und dazu sind sie auch nie verpflichtet. Wir können immer nur darum bitten und werben, dass sie sich öffnen und Beratungsangebote wahrnehmen.